Ich erlaube mir eine
kleine Einführung, bevor ich zum eigentlichen Thema komme. Wen meine
Meinung zu Internetdiskussionen nicht interessiert, liest am Besten
ab der Überschrift Der Werkzeugkasten weiter.
Ich mag es nicht, im
Internet über Grundsatzfragen meiner Hobbys zu diskutieren. Das habe
ich vor Jahren lange und Ausgiebig zum Thema Larp getan, später in
abgeschwächter Form zum Pen&Paper-Rollenspiel. Das waren aber
noch Zeiten, in denen ich den Luxus hatte die Frage „Vorlesung oder
dieser mir unbekannten Person erklären, warum ihr Kostüm doof ist“
nicht mit Vorlesung beantwortet zu können...
Das heißt nicht, dass ich
nicht gerne über Rollenspiele diskutiere. Rollenspieltheorie,
Regeldesign, Hintergründe oder ganz simpel Vorlieben und
Abneigungen, darüber kann ich mir den Kopf heiß reden. Aber im
Netz, mit Leuten, die ich meistens nicht mal kenne und bei denen ich
nicht weiß, ob sie nur provozieren wollen? Den Ärger muss ich nicht
haben und dazu fehlt mir auch das Sendungsbewusstsein.*
Trotzdem lese ich solche
Diskussionen, sofern deren Inhalte mich interessieren, mit. Allein,
um auf dem Laufenden zu bleiben. Und dabei stößt mir immer wieder
eine Eigen-, oder vielmehr Unart, der Forendiskussionen auf. Viele
von „uns“ (womit ich in diesem konkreten Falle die forenaffinen
Vielspieler und Sammler meine, die überhaupt erst auf diesen Blog
finden) neigen dazu, ein neues Produkt nach Maßstäben zu bewerten
wie „Da fehlt mir aber XY“, „XY ist doch nicht mehr modern“
oder „Was macht X denn anders als Y“, die meist vollkommen
subjektiv auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Mal ganz
ab vom unsäglichen „Das ist doch kein Rollenspiel mehr“, das
einfach nur auf eine pure, ungefilterte Arroganz gegenüber Menschen
mit anderen Vorlieben zum Ausdruck bringt.
Der Werkzeugkasten
Ich finde, prinzipiell
braucht Rollenspiel keine Regeln. Das hat als Kind doch prima
geklappt, wenn man von Streitereien, wer jetzt der „Bestimmer“
sei, absieht. Auch heute können wir ohne weiteres eine spannende
Handlung spielen, ohne einen Charakterbogen oder dicke Regelbücher
auf dem Tisch.
Das wir es so nicht
machen, hat verschiedene Gründe. Manche Spielarten brauchen Regeln,
z.B. wenn es ein kompetitives Element gibt. Andere Regeln dienen
dazu, die Fiktion in eine bestimmte Richtung zu lenken. Und für
viele bieten die Regeln einfach nur den kleinsten gemeinsamen Nenner
im gemeinsamen Vorstellungsraum.
Ein Regelsystem ist für
mich ein Werkzeug, um eine bestimmte Art Spiel zu spielen. Am
offensichtlichsten ist es, wenn man bei groben Genres bleibt: Will
ich Fantasy oder Science Fiction? Out of the Box kann ich mit den
meisten Regelsystemen nicht beides spielen (Homebrews und Hacks lasse
ich hier bewusst außen vor, es geht mir um die Kritik an
Neuveröffentlichungen).
Hier kommt die
Werkzeuganalogie ins Spiel: Wenn ich einen Nagel in die Wand schlagen
will, nehme ich den Hammer, nicht den Schraubendreher. Ich greife zu
dem Werkzeug, das ich brauche. Vielleicht kann ich mit dem Griff des
Schraubendrehers den Nagel in die wand Hämmern, aber das wird
umständlich. Besonders, wenn der Hammer schon in der Box liegt. Also
greife ich SciFi-Regelwerk, wenn ich Raumschlachten will, der
Fantasy-Wälzer bleibt im Regal.
Regeln sind Werkzeuge. Sie
wurden (idealerweise) designed, um eine bestimmte Aufgabe zu
erfüllen. Und daran sollten wir immer denken, wenn wir über Spiele
reden, die uns auf den ersten Blick nicht ansprechen. Das Spiel wurde
einfach nur für etwas konzipiert, das nicht unseren Bedürfnissen
entspricht.
Und das ist gut so! Aus
Sammlersicht finde ich es auch schade, wenn mich ein hübsch
aufgemachtes Buch inhaltlich nicht anspricht. Aber ich kaufe ja auch
keinen Akkuschrauber mit 1000-teiligem Zubehörset, wenn ich
eigentlich nur einen Kreuzschlitz brauche.
Handwerker...
Darüber hinaus neigen wir
(dran denken: Forenaffin, Vielspieler, Sammler) dazu, uns zur
zentralen Zielgruppe neuer Produkte zu erklären. Sicherlich, der
Sammleraspekt ist für die Verlage immer interessant. Der neugierige
Sammler, der Geld ausgibt, um sich das neue System einfach mal
anzusehen, ist ein dankbarer Kunde.
Aber sonst? „X hätte
besser funktioniert, wenn man Y aus Spiel Z übernommen hätte.“
Das kann doch nicht Sinn der Sache sein.
Zurück zur Analogie. Ich
habe einen Schraubendreher, mit dem ich meine Regale ganz toll an die
Wände schrauben konnte. Jetzt bringt eine andere Firma einen
Schraubendreher auf den Markt, der für eine andere Schraubengröße
gedacht ist. Ist das neue Modell unbrauchbar, nur weil ich damit
meine Regale nicht an die Wand bekomme? Wohl kaum. Er bedient nur
nicht mein Bedürfnis, uhnd daraus kann ich keinen Vorwurf
konstruieren.
In den Foren passiert das
aber sehr gerne. Da wird danach gefragt, ob ein neues Spiel dieses
oder jenes könne. Und wenn das nicht der Fall ist, dann kann das
Spiel nichts taugen. Denn es bedient ja die persönlichen Bedürfnisse
nicht.
Noch besser finde ich gar
„Och, noch ein Fantasy-System? Da habe ich doch schon drölfzig
von, warum sollte ich das spielen?“
Ehrlich? Sollst du nicht.
Wenn ich mir eine Spielbeschreibung durchlese, bin ich meistens recht
schnell sicher, ob es etwas für mich ist oder nicht. Beispiel
Splittermond, ein Spiel, dem ich allen erdenklichen Erfolg wünsche.
Aber es spricht mich auf keiner Ebene an. Selbst mein recht
ausgeprägter Sammelreflex springt da nicht an. Nicht für mich,
fertig.
Warum sich jetzt Leute in
Foren Grabenkämpfe liefern, weil der Verlag nicht genau ihre
Kombination an Vorlieben bedient, ist mir ein Rätsel.
...und Laien
Dann gibt es noch die
Spieler, die keine Foren lesen (übrigens meistens weil die Leute da
so intolerant und besserwisserisch sind), keine Blogs und die neben
ihrer wöchentlichen Spielrunde nicht darauf aus sind, die neusten
Erscheinungen auf dem Markt zu beobachten.
In deren Werkzeugkasten
liegt vielleicht die Grundausstattung: Hammer, Säge,
Schraubendreher, Teppichmesser. Übersetzt auf den deutschen Markt
hieße das wohl, dass sie DSA, Shadowrun, Call of Cthulhu und
D&D/Pathfinder kennen.
Jetzt entwickelt einer
dieser Spieler ein neues Bedürfnis, das er mit dem vorhandenen
Werkzeug nicht decken kann. Für diesen Spieler kann jedes neue
System abseits des Bekannten eine Offenbarung sein. Da stellt sich
einfach nicht die Frage, was System X besser gemacht hat, oder warum
Y und Z so viel besser designed sind. Ohne Überblick und
Spielerfahrung ist das kein Kriterium.
Da greift dann die
Betriebsblindheit der Foristen. In forum A geht Spiel X gerade ab wie
Schmidts Katze. Das muss doch jeder kennen! Das aber außerhalb des
eigenen Forenhabitats kaum einer über das Spiel redet, wird selten
wahrgenommen. Das ist übrigens auch für mich eine recht neue
Erkenntnis, für die ich einige Begegnungen mit Nicht-Foristen
gebraucht habe.
Kurz: Kaum jemand braucht
drei Akkuschrauber. Aber wenn man überhaupt keinen hat, kann auch
ein Modell mit wenigen Extras vollkommen ausreichen.
* Schrieb der Blogger. Ich
bin mir der Diskrepanz, die hier in Wort und Tat besteht, durchaus
bewusst.