Freitag, 6. Juni 2014

Werkzeugkästen

Ich erlaube mir eine kleine Einführung, bevor ich zum eigentlichen Thema komme. Wen meine Meinung zu Internetdiskussionen nicht interessiert, liest am Besten ab der Überschrift Der Werkzeugkasten weiter.

Ich mag es nicht, im Internet über Grundsatzfragen meiner Hobbys zu diskutieren. Das habe ich vor Jahren lange und Ausgiebig zum Thema Larp getan, später in abgeschwächter Form zum Pen&Paper-Rollenspiel. Das waren aber noch Zeiten, in denen ich den Luxus hatte die Frage „Vorlesung oder dieser mir unbekannten Person erklären, warum ihr Kostüm doof ist“ nicht mit Vorlesung beantwortet zu können...

Das heißt nicht, dass ich nicht gerne über Rollenspiele diskutiere. Rollenspieltheorie, Regeldesign, Hintergründe oder ganz simpel Vorlieben und Abneigungen, darüber kann ich mir den Kopf heiß reden. Aber im Netz, mit Leuten, die ich meistens nicht mal kenne und bei denen ich nicht weiß, ob sie nur provozieren wollen? Den Ärger muss ich nicht haben und dazu fehlt mir auch das Sendungsbewusstsein.*

Trotzdem lese ich solche Diskussionen, sofern deren Inhalte mich interessieren, mit. Allein, um auf dem Laufenden zu bleiben. Und dabei stößt mir immer wieder eine Eigen-, oder vielmehr Unart, der Forendiskussionen auf. Viele von „uns“ (womit ich in diesem konkreten Falle die forenaffinen Vielspieler und Sammler meine, die überhaupt erst auf diesen Blog finden) neigen dazu, ein neues Produkt nach Maßstäben zu bewerten wie „Da fehlt mir aber XY“, „XY ist doch nicht mehr modern“ oder „Was macht X denn anders als Y“, die meist vollkommen subjektiv auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Mal ganz ab vom unsäglichen „Das ist doch kein Rollenspiel mehr“, das einfach nur auf eine pure, ungefilterte Arroganz gegenüber Menschen mit anderen Vorlieben zum Ausdruck bringt.

Der Werkzeugkasten

Ich finde, prinzipiell braucht Rollenspiel keine Regeln. Das hat als Kind doch prima geklappt, wenn man von Streitereien, wer jetzt der „Bestimmer“ sei, absieht. Auch heute können wir ohne weiteres eine spannende Handlung spielen, ohne einen Charakterbogen oder dicke Regelbücher auf dem Tisch.

Das wir es so nicht machen, hat verschiedene Gründe. Manche Spielarten brauchen Regeln, z.B. wenn es ein kompetitives Element gibt. Andere Regeln dienen dazu, die Fiktion in eine bestimmte Richtung zu lenken. Und für viele bieten die Regeln einfach nur den kleinsten gemeinsamen Nenner im gemeinsamen Vorstellungsraum.

Ein Regelsystem ist für mich ein Werkzeug, um eine bestimmte Art Spiel zu spielen. Am offensichtlichsten ist es, wenn man bei groben Genres bleibt: Will ich Fantasy oder Science Fiction? Out of the Box kann ich mit den meisten Regelsystemen nicht beides spielen (Homebrews und Hacks lasse ich hier bewusst außen vor, es geht mir um die Kritik an Neuveröffentlichungen).

Hier kommt die Werkzeuganalogie ins Spiel: Wenn ich einen Nagel in die Wand schlagen will, nehme ich den Hammer, nicht den Schraubendreher. Ich greife zu dem Werkzeug, das ich brauche. Vielleicht kann ich mit dem Griff des Schraubendrehers den Nagel in die wand Hämmern, aber das wird umständlich. Besonders, wenn der Hammer schon in der Box liegt. Also greife ich SciFi-Regelwerk, wenn ich Raumschlachten will, der Fantasy-Wälzer bleibt im Regal.

Regeln sind Werkzeuge. Sie wurden (idealerweise) designed, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Und daran sollten wir immer denken, wenn wir über Spiele reden, die uns auf den ersten Blick nicht ansprechen. Das Spiel wurde einfach nur für etwas konzipiert, das nicht unseren Bedürfnissen entspricht.

Und das ist gut so! Aus Sammlersicht finde ich es auch schade, wenn mich ein hübsch aufgemachtes Buch inhaltlich nicht anspricht. Aber ich kaufe ja auch keinen Akkuschrauber mit 1000-teiligem Zubehörset, wenn ich eigentlich nur einen Kreuzschlitz brauche.

Handwerker...

Darüber hinaus neigen wir (dran denken: Forenaffin, Vielspieler, Sammler) dazu, uns zur zentralen Zielgruppe neuer Produkte zu erklären. Sicherlich, der Sammleraspekt ist für die Verlage immer interessant. Der neugierige Sammler, der Geld ausgibt, um sich das neue System einfach mal anzusehen, ist ein dankbarer Kunde.

Aber sonst? „X hätte besser funktioniert, wenn man Y aus Spiel Z übernommen hätte.“ Das kann doch nicht Sinn der Sache sein.

Zurück zur Analogie. Ich habe einen Schraubendreher, mit dem ich meine Regale ganz toll an die Wände schrauben konnte. Jetzt bringt eine andere Firma einen Schraubendreher auf den Markt, der für eine andere Schraubengröße gedacht ist. Ist das neue Modell unbrauchbar, nur weil ich damit meine Regale nicht an die Wand bekomme? Wohl kaum. Er bedient nur nicht mein Bedürfnis, uhnd daraus kann ich keinen Vorwurf konstruieren.

In den Foren passiert das aber sehr gerne. Da wird danach gefragt, ob ein neues Spiel dieses oder jenes könne. Und wenn das nicht der Fall ist, dann kann das Spiel nichts taugen. Denn es bedient ja die persönlichen Bedürfnisse nicht.

Noch besser finde ich gar „Och, noch ein Fantasy-System? Da habe ich doch schon drölfzig von, warum sollte ich das spielen?“

Ehrlich? Sollst du nicht. Wenn ich mir eine Spielbeschreibung durchlese, bin ich meistens recht schnell sicher, ob es etwas für mich ist oder nicht. Beispiel Splittermond, ein Spiel, dem ich allen erdenklichen Erfolg wünsche. Aber es spricht mich auf keiner Ebene an. Selbst mein recht ausgeprägter Sammelreflex springt da nicht an. Nicht für mich, fertig.

Warum sich jetzt Leute in Foren Grabenkämpfe liefern, weil der Verlag nicht genau ihre Kombination an Vorlieben bedient, ist mir ein Rätsel.

...und Laien

Dann gibt es noch die Spieler, die keine Foren lesen (übrigens meistens weil die Leute da so intolerant und besserwisserisch sind), keine Blogs und die neben ihrer wöchentlichen Spielrunde nicht darauf aus sind, die neusten Erscheinungen auf dem Markt zu beobachten.

In deren Werkzeugkasten liegt vielleicht die Grundausstattung: Hammer, Säge, Schraubendreher, Teppichmesser. Übersetzt auf den deutschen Markt hieße das wohl, dass sie DSA, Shadowrun, Call of Cthulhu und D&D/Pathfinder kennen.

Jetzt entwickelt einer dieser Spieler ein neues Bedürfnis, das er mit dem vorhandenen Werkzeug nicht decken kann. Für diesen Spieler kann jedes neue System abseits des Bekannten eine Offenbarung sein. Da stellt sich einfach nicht die Frage, was System X besser gemacht hat, oder warum Y und Z so viel besser designed sind. Ohne Überblick und Spielerfahrung ist das kein Kriterium.

Da greift dann die Betriebsblindheit der Foristen. In forum A geht Spiel X gerade ab wie Schmidts Katze. Das muss doch jeder kennen! Das aber außerhalb des eigenen Forenhabitats kaum einer über das Spiel redet, wird selten wahrgenommen. Das ist übrigens auch für mich eine recht neue Erkenntnis, für die ich einige Begegnungen mit Nicht-Foristen gebraucht habe.

Kurz: Kaum jemand braucht drei Akkuschrauber. Aber wenn man überhaupt keinen hat, kann auch ein Modell mit wenigen Extras vollkommen ausreichen.



* Schrieb der Blogger. Ich bin mir der Diskrepanz, die hier in Wort und Tat besteht, durchaus bewusst.